Freitag, 17. Mai 2013

ABSPIELEN

Es wurde ein Fest. Nicht nur das Wetter feierte. Ich habe heute viele Gesichter gesehen, die bisher nicht bei uns aufgetaucht sind.  Fast alle Bekannten der letzten beiden Wochen sind da. X fehlt, ich glaube, er ist über Pfingsten verreist. P. ist nicht da. Er wohnt seit zwei Tagen in einem Wohnheim und lässt über einen Betreuer ausrichten, es sei ihm zu viel, vielleicht komme er noch. Wir haben immerhin Tonaufnahmen von ihm dabei: Aus unserem Ghettoblaster singt er„My Bonnie“ und andere amerikanische Folk-Klassiker. Ich habe fürs Grillenfest einen kleinen Musikmix gemacht mit Aufnahmen der letzten beiden Wochen - die Beatbox-Session der Forensik-Jungs, das Kinderlied eines Spontangitarristen („Let the sun shine over Basel“), sowie Lieblingslieder von V („Zeilen aus Gold“ von Xavier Naidoo und ein Hit von Will.I.Am feat. Britney Spears), die Folklieder von P, das Lied von T. von gestern, und ein paar andere.

Eine Betreuerin kommt in den Stunden vor dem Fest vorbei, und sagt: Sie würde einfach nicht verstehen, was wir hier machen. Was es denn bedeute? Ich versuche ihr zu erklären, dass wir ein Grillfest machen und mit dem Begriff „Grillen“ spielen. Daher unsere Bambusgrille. Daher der Bezug zur Klinik. Daher Grillenfest. Sie meint, das habe sie ja gelesen, aber sie habe sich immer gefragt, was es denn bedeute? Fehlt das dramaturgische Begleitheft wie für ein Schiller- oder Botho-Strauss-stück am Theater Basel? Tumasch erklärt mir, dass genau das schwer verstehbar sein könne:  Dass zwei nichts anderes machen, als zwei Wochen hierzusein und ein Grillenfest vorzubereiten. Auch ich ertappe mich dabei, dass ich nicht sicher bin, ob es denn genug sei. Ich frage mich selbst: Soll ich eine Ansprache halten, ein Tänzchen erfinden? Tumaschs entgegnet etwas streng: „Unsere Arbeit ist dieses Fest. Und das findet jetzt statt. Die Ingredienzien sind angerührt. Die Leute sind da.“ Gut. 

T. ist heute auch da - wenn auch eindeutig zurückhaltender, fast ängstlich und etwas aggressiv. Die Menge der Leute bringt sie offenbar durcheinander, und sie verdächtigt andere Grillierende des Diebstahls oder Mordes - während sie die letzten beiden Wochen zwar von Verbrechen und Schusswechseln berichtete, aber niemanden verantwortlich machte. Immer wieder aber kommt sie heute zu mir, und fragt, ob ich alles abgeholt hätte, wo das Geld gewesen sei, und ob ich benachrichtigt worden sei. Ja. Alles in Ordnung.
Eine Frau, die ich bisher immer nur von Ferne gesehen habe, schreit herum. „Das Leiden anderer ausschlachten. Scheisskapitalisten. Sich über das Schicksal anderer lustig machen. Arschlöcher“. Dann sitzt sie lange auf einer Bank hinter unserem Auto und kramt in ihrer Tasche.

Der Staff der UPK bekommt den Preis für die besten Veranstaltungstechniker. Zelte werden im Handumdrehen auf- und abgebaut. Würste werden nachbestellt, Email-Adressen werden getauscht. F. der mit G. den Grill bedient und schmeisst, bringt uns eigene Party-Mucke. Die Forensik-Gang ist da. Zwei von ihnen liefern eine kleine Choreographie mit unserer Grille. Die Abteilung für Drogensüchtige taucht auf, Leute von der Psycho-Diagnostik, Qualität und Prozesse, der alte Cellist, der Klinikdirektor, über die zwei Stunden verteilt mindestens sechzig Leute.

Jana zeichnet. Fotographieren ist ja nur eingeschränkt möglich. Wie eine Gerichtszeichnerin sitzt oder steht sie da zwischen Wurst- und Kartoffelsalat-Essern und hält in Skizzen fest, was passiert. Ihre Arbeit ist vor allem bei Männern sehr begehrt. H, unser Grillenträger von gestern, lässt sich gern zeichnen und ist begeistert vom Porträt. Wir sammeln die Bilder für unser nächstes Fest ein, lassen uns aber auch die Adressen der Portraitierten geben, damit sie die Zeichnungen später bekommen können.

Wir wollten ein Grillenfest in der UPK zu machen. Dies hat heute stattgefunden. Jetzt zieht es um. Am 31. Mai wird es, leicht mutiert, auf dem Kasernenareal wieder steigen. Andere Besucher werden da sein, und hoffentlich auch einige Teilnehmer von heute.
Hier noch eine kleine Werbung: Am 27. Mai um 21.30 lese ich im Motel auf dem Kasernenplatz live aus dem Grillenblog und veröffentliche neubearbeitetes Rohmaterial.

Wer die Ausdauer hatte, dem Blog zu folgen: Herzlichen Dank. Sporadisch kommt bis zum 31. vielleicht noch das eine oder andere dazu. Die erste Blogetappe hat jedoch stattgefunden. Für Kommentare und Feedback und weitere Gespräche bin ich offen. Jetzt kommt das zweiwöchige Grillenmaterial erstmal in die Küche, wird neu gehäckselt, auf den Kompost geworfen, und kann ein bisschen gären.

Bis dann.

Andreas

Donnerstag, 16. Mai 2013

ZUFÄLLE UND MÖGLICHKEITEN

Regenwetter und Grillen: Schwieriges Paar. Grillen zirpen meines Wissens bei Regen nicht. Feuer mag kein Wasser. Heute werfen wir zwar unseren Grill an, aber braten keine Wurst. Irgendwie ist uns nicht danach, und den Patienten oder dem Personal der UPK auch nicht. Einer kommt und fragt nach Würsten, aber unser Verweis auf das morgige Grillfest wird ohne Gegenrede akzeptiert. Es ist feucht auf dem Platz. Ich fürchte, auch morgen wird es feucht sein. Jetzt, nach knapp zehn Tagen Grillen-Aufenthalt in der UPK, kann ich leichte Ermüdungserscheinungen bei mir feststellen. Mein Enthusiasmus ist natürlich ungemindert, aber... Ich kann mich nicht mehr freudig jeder geistigen Verästelung öffnen. Es schleicht sich Routine ein. Die Meldungen der ständig stattfindenden Diebstähle durch T. interessieren mich weniger - wobei: Sie singt heute wieder in mein Mikrophon, und das berührt mich doch sehr merkwürdig. Ich hab das Gefühl, durch das, was sie singt, wirklich etwas über sie zu erfahren, über ihre Vorgeschichte, über ihren Schmerz. Vorher aber: Als ich ankomme, sitzt sie mit R. am Tisch. R. hat einen Künstlernamen: Johnny Katalysator. Und wie heisst er richtig? Reto Kuhn (Name von der Redaktion geändert). Johnny und T. haben Spass. Er war nur drei Tage hier. Für das Fest am 31. Mai in der Kaserne will er uns eine Band besorgen. Er kennt alle Bands von Basel, und auch sonst weiss er alles. 3 Tage war er hier, um sich etwas auszuruhen, wie er das nennt, aber jetzt kann er wieder voll loslegen.

Hier, der Text des neuen Liedes von T.

Es gibt Millionen von Sternen
Und eines das lieb ich so gerne
Nur eines, das hab ich in Hand
Den Jumbo Jet an Land

Wo ist mein Mann nur geblieben
Ich hab ihn verloren
Er ist himmelein
Er ist bei den Choren

Es gibt keine Engelein
Die sind alle tot
Hol jetzt das schöne Boot

Ich bin James Brown
Ich kann es beweisen
Dort sind Arschlöcher
Mit den Bundesleisen

Fang nie mehr was an Hippie an
Da hab ne Gitarre an der Hand
Das haben sie gestohlen, das klein klein
Ich schwimme jetzt im Rhein

Ariel Ariel hör mich von Norden her
Der Arge kommt vom toten Meer
Die Steine sind blockiert
Alles ist zerbrochen
Doch hier ist der Taucherrochen

Dein Ring ist in der Dole
Mach ihn nicht auf
Er ist ein Brillantenring von der Mickey Maus
Alle Dolen waren hier
Sie haben mich geklaut

Tina war ein schönes Kind
Hatte Haare wie der Wind
Flatter Vogel hell hinaus
Meine Tina Supermaus

Meine Tina lebt nicht mehr
Sie war drei Jahr, man hat sie im Waldstück im Wald gefunden
Ich bin Kelly Kleins Aktzenzahl verbunden
Lass mich jetzt in Ruh
Belinda hat die Augen zu
Natascha Kampusch ist die Zirkusmaus
Ich kann nicht mehr weitergehn
Sie haben wir geschossen auf dem Dach vom Meer
Das Dach ist eröffnet worden
Der Adler fliegt auf das Dach im Norden
Ich fahre in den Keller rein
Die Handschellen sind im Rhein

Doch man kann mich erpressen hier
Ich schenk ihm den Leu, mein Zirkustier
Es ist alles auf dieser Welt geschehen
Doch das Kärtchen wird die Bank wiedersehen
Ich hab Bilder gemalt an der Wand
Der Rembrandt ist Dein, ich hab ihn gesehn im Wunderland

Ich bin nicht Ariel, ich hab eine Geige, hat sie gestohlen

Doch das ist falscher Kaffee, der Gärtner hat die Dohlen
Alle Dohlen waren rauf
Ich bin reingeflogen
Doch es kommt der falsche Bagger,
hat die Kabine im Orden.

Dazwischen, beim singen, weint T. ein bisschen. Erzählt sie in diesen Zeilen etwas über sich? Was ist ihr passiert, wo ist der Moment in ihrem Leben, der ihr einen Teil ihres Verstandes geraubt hat?

Grillenhüpfen

Wir machen ein Trickfilmchen mit der Grille. H., ein Junge aus der Forensik kommt mit einer Lehrerin vorbei und hilft uns, die Grille herumzutragen. Es soll eine Fotoserie werden mit der Grille auf dem UPK-Gelände. Wenn man die Fotos hintereinander abspielen wird, wird es sein, als ob die Grille durch das Gelände hüpft und ihre Nase hierhin und dorthin steckt. Am Schluss klettert sie auf das Dach der Administration.

Innnen

Nachmittags sind wir eingeladen in der Abteilung für Verhaltenssucht. W. ein Praktikant, zeigt uns die Räume. Gruppentherapie, Einzeltherapie. Ein Schild mit der Aufschrift: „„LOGOUT“ is the hardest button to click.“. Oder „Die billigste Sucht: „Tabak: 2420 SFR (Eine Packung pro Tag) - World of Warcraft 240 SFR“.

Die Patienten sind hier meist ambulant. Sie kommen in Abständen von einer bis zwei Wochen hier vorbei. Manche sogar aus der Ostschweiz. Hier treffen sie in Gruppentherapien auf andere, die ähnliche Probleme haben. Suchterfahrenere helfen Suchtneulingen. Die Gespräche sind intensiv und sofort auf dem Punkt: Alles wird ausgesprochen. Spielsucht kann anfangen mit dem Wunsch / Zwang, sich für eine Niederlage revanchieren zu wollen: „Heute habe ich verloren - aber morgen hole ich das Geld wieder rein.“ Diese Gedankliche Muster kann bis zur totalen Überschuldung führen. Spielsucht ist zu 90% Automatensucht und 10% Roulette und ähnliches. Meist brechen Süchte nicht ohne Begleitumstände wie Trennungen, Unfälle, Arbeitslosigkeit aus. Online-Spielsüchtige verkriechen sich. Manche essen nichts mehr. Spielcasinos müssen Suchtgefährdete vom Betrieb ausschliessen. Aber in der Regel ist es schon zu spät, wenn so etwas geschieht.

Ich frage, mit welchen gesellschaftlichen Entwicklungen Verhaltenssüchte konnotiert werden. Das scheint sehr schwieriges Gelände zu sein. Man kann zwar mutmassen: Mehr Zersplitterung, mehr Druck, mehr Kommunikation, mehr Gleichzeitigkeit, mehr Geschwindigkeit. Letztendlich muss man auf den Patienten eingehen und seine individuelle Geschichte betrachten. Politische Forderungen aus der Therapieerfahrung abzuleiten, ist wohl eher schwierig. Und Dostojewski war auch schon spielsüchtig. Es kann also nicht am iPhone liegen.

Taktung

Das Gespräch mit W. dauert, und ist internsiv und sehr offen. Eine schöne Begegnung. Wir begreifen, dass das die Ausnahme sein muss. Das Personal hat sehr dichte Tage, und die meisten haben einfach weder Zeit für unsere Grille, noch für Gespräche. Wir reden darüber, ob es sinnvoll gewesen wäre, zielgerichter auf einzelne Abteilungen zuzugehen. Aber dann einigen wir uns, dass wir dann viel zu viel an diesem Klinikalltag rumgerüttelt hätten. Wir haben die Freiwilligkeit und den Zufall gesucht. Wir haben uns dafür entschieden, einfach da zu sein, an unserer Grille zu bauen, und die zu treffen, die extra zu uns kommen wollten, oder die uns entdeckten, und Musse hatten, stehenzubleiben. Was für einen Sinn hätte es gemacht, einen durchtetakteten Psychologen aus seinem Stundenplan reissen zu wollen? Die meisten sind einfach sehr beschäftigt, und haben in der Mittagspause Lust auf ein warmes Essen in der Personalmensa. Heute essen wir ausnahmsweise auch dort: Alles voll. Hier sind die Leute also. Wir schätzen, dass an der UPK 500 Menschen arbeiten. Kennengelernt haben wir vielleicht 40, und etwa mit 20 haben wir längere Gespräche geführt: Das sind in der Regel stationäre Patienten mit temporärem oder dauerndem Ausgang oder besonders engagiertes Personal, das sich etwas Zeit nehmen konnte. Die anderen sind uns, auch wenn wir auf dem sogenannten Centralplatz waren, einfach nicht begegnet.

Mittwoch, 15. Mai 2013

GRILLEN IN ARGENTINIEN


Wie ein Patient Länder vergleicht und sich retten will

"Wie macht man die perfekte Grillsauce? Sie heisst Chimichurri. Es ist eine argentinische Sauce. Die benutzt man für das Fleisch, aber erst nachdem das Fleisch gebraten worden ist. Oder grilliert worden ist. Olivenöl. Aceto Balsamico. Salz. Pfeffer,  Schwarzer Pfeffer. Paprika, süsse und scharfe. Oregano. Feingehackte Petersilie und Knoblauch, in Mengen. Und noch ein paar Chillis, damit die Sauce ein bisschen scharf wird. Und zum Schluss legt man noch zwei oder drei Loorbeerblätter hinein. Eigentlich ist das ein Geheimrezept. So mach ich das. Aber in Argentinien, da wir nicht so viel Oliven und Olivenbäume haben, benutzt man eher Sonnenblumenöl oder Maisöl. Das haben wir in Mengen. Und nicht Aceto Balsamico, sondern eher einen normalen Essig. Das wärs dann. 

Wir grillen 4-5 Stunden, je nachdem wie man das zubereitet. Das Schwein wird aufgespannt an einem Kreuz. Und das heisst alla Sadór. Carne alla Sadór. So wird das grillierte Fleisch normalerweise, wenn viele Leute an einem Grillfest teilnehmen, gemacht. Das Ferkel oder das Lamm darf nicht mehr als 10-12 Kilo wiegen. Sonst wird es zu zäh. Und wenn man so ein kleines Lamm hat oder ein Ferkel, dann ist das Fleisch so zart und das zergeht auf der Zunge wie Butter.

Man sollte die Sauce nicht während dem Braten auf das Fleisch geben, sonst wird das Fleisch zu heiss mit dem Öl, und verbrennt. Aber etwas anderes ist drauf, das nennt man Salmuea. Das ist eine Lösung mit Wasser und Salz. Das kommt auf das Fleisch, damit es nicht austrocknet - es ist 4-5 Stunden am Kreuz, am Feuer. Es wird nur gar durch die Hitze des Feuers, nicht durch die Glut - man verwendet keine Holzkohle. Sehr moderat, aber ausdauernd, nicht total heiss. Und hier hinten macht man ein Blech hin, damit die Hitze nicht nach hinten verlorengeht. Nachher nimmt man das Brett weg und brät die andere Seite des Tieres. Man nimmt dazu Wellblech, oder sonst ein Blech. Karton geht, aber ist entzündlich. 

Da ist die Schwarte, die isst man normalerweise nicht. Dann hast Du noch so einen Rost, weil diese Schenkel hier, der Kopf hängt ja nach unten, und die sind oben. Und je nachdem reicht es nicht für die Schenkel. Die legt man danach auf Steine und brät sie fertig. Gerade beim Schwein. Aber die Lämmer in Patagonien, so etwas hab ich sonst nie auf der Welt gegessen! Ich war nicht viel unterwegs. Aber die Lämmer im Süden sind so lecker! Mir schmeckt das besser als das Schwein. Aber das Schwein ist auch sehr gut. 

Ohne Kopf. Ein Stück vom Rind, oder von der Kuh. Dann wird das hier durchgeschnitten vom Metzger. Aber du kannst das am Stück kaufen. In Argentinien kauft man das immer am Stück. Hier in der Schweiz, diese kleinen Portiönchen! Ich dachte, huch, was ist das denn, davon werde ich ja gar nicht satt. 

Die Sauce kannst Du ja dann probieren. Die ist noch nicht sehr alt. Die nimmt man mit einem Löffel. 

Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Wir sind jagen gegangen und fischen mit meinem Vater. Wir mussten alles essen, was wir geschossen oder gefischt haben. Sonst hätte er uns das nicht erlaubt. Nicht einfach so zum Spass einen Vogel runterholen. 

Der Winter in der Schweiz ist zu lange. Ich versuche hier gesund zu werden. Saisonale Depression."

Dienstag, 14. Mai 2013

GESICHTER OHNE NAMEN

Wie Jana Grabner zeichnet, und Verhältnisse untersucht werden

Wir kriegen Besuch. Das fast vollständige Team der Abteilung für Verhaltenssüchte bringt Pic-Nic, Beeren, Würste, Brot, Früchte, Gemüse. Zwei Kinder sind dabei. Was ist Verhaltenssucht? Online-Sucht, Spielsucht, Sexsucht... Wie behandelt man das? Das wichtigste: Eine Beziehung zum Patienten aufbauen. Meistens ist eine lange und komplizierte Geschichte dahinter. Sehr lange geht es darum: Kennenlernen. Die eigentliche Behandlung, Massnahmen etc. fängt sehr viel später an. Das Gespräch ist der erste Schritt.

Ich gebe zu: All diese Blogs schreibt ein Unbedarfter. Ich habe zwar biographisch ein paar Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen in meinem Umfeld vorzuweisen, aber keine autobiographischen. Je länger ich hier bin (und lange ist es ja nicht), desto mehr - wie soll man es nennen - Achtung - Staunen - ? - empfinde ich vor der Arbeit, die hier geleistet wird. Die Krankheiten, die hier behandelt werden, scheinen mir LEBENS-Krankheiten. Psychiatrie ist wirklich keine Apotheke. Psychiatrie ist, vielleicht, ein Raum, in dem anders über Defekte nachgedacht wird, in dem verhandelt wird, was Normalität auch sein könnte, und in dem in gewisser Hinsicht die Abnormität des Normalen gesehen werden kann (oder das Normale am Abnormen). Was es hier gibt, gibt es überall. Mag sein, dass die Dosierung hier anders ist, Verhältnisse gekippt. Aber die Ingredienzien sind dieselben. Wann werden Störungen als so übergekocht empfunden, dass sie behandelt werden müssen? Warum eigentlich kann die paranoide T. nicht auch als gute Geschichtenerzählerin gelten? Ihre Fähigkeit, verschwörerische Phantasien herzustellen, ist jedenfalls phänomenal. J., der jeden Tag vor der Klinik sitzt und eine Woche brauchte, bis er sich endlich zum Würstchenessen einladen liess, kann auch als Beispiel für Vorsicht und Geduld gesehen werden. Sein Wesen scheint einer Pflanze zu gleichen (Allerdings einer fleischfressenden, wie er heute unter Beweis stellte). Ich weiss zwar nicht, wieviele Medikamente nötig waren, um seinen jetzigen Zustand hervorzubringen, und was er tat, bevor er sich in der UPK einfand. Er war bestimmt kein besonders brauchbarer Arbeiter. Oder doch? Wie kippt jemand über? Welche Faktoren schaukeln sich auf, bis jemand seinen Alltag nicht mehr bestehen kann, und warum? Was bedeutet es, Verantwortung über sein Handeln zu tragen, oder eben nicht? Schuldig sein, oder nicht. Zurechnungsfähig oder nicht. Fit oder nicht. Lustig oder nicht. Souverän oder nicht. Interessiert oder nicht. Kalt oder nicht.

Jana ist da. Sie zeichnet 3 Stunden lang alle, die sich zu ihr auf den Stuhl setzen und 5 Minuten still sitzen können. Ein Kind lässt sich zeichnen. P. möchte nicht gezeichnet werden. Als ich ihn frage, ob er porträtiert werden will, winkt er ab, und kommt den ganzen Tag nicht mehr in unsere Nähe. Manche hier sind wie Schmetterlinge. Ein Lufthauch weht sie weg. Ein junger Patient wartet ab, bis keiner auf dem Platz ist und bittet dann Jana um ein Porträt. Jana zeichnet den Securitas-Mann und Leute von der Verhaltens-Sucht-Abteilung. Sie zeichnet J., der mit einem Kumpel eine halbe Stunde zufrieden auf einem Stuhl hängt. Die Zeichnungen fixieren wir mit Wäscheklammern an Schnüren im Zelt. Nach einiger Zeit ist es ein kleines Museum. Gesichter ohne Namen, ohne Zuschreibung, ohne Urteil.

Einer erzählt mir, dass die Schweiz überdurchschnittlich viele Psychiatriepatienten hat. „Ausschuss von der Qualitätsproduktion. Ausschuss der Effizienzmaschine. Planstörungen. Andere Länder haben hohe Verbrechensraten, Korruption, Umweltverschmutzung. Wir haben Psychiatriepatienten.“

„Ich passe nicht in die Schweiz. Ich bin eher spanisch veranlagt, italienisch, südländisch. Ich bin laut. Man hat mich immer kleingehalten, weggejagt. Jetzt bin ich hier. Wenn ich wieder rauskomme, wandere ich aus. Die Sprachen kann ich schon.“

„Ich bin manisch-depressiv. Heute ist besser. Ich will wieder ins Leben. Ich will arbeiten. Eine Kunsttherapie-ausbildung machen. Das Sozialamt zahlt aber nichts, wenn meine Eltern die Ausbildung finanzieren. So suche ich Kellnerjobs. Nichts klappt. Ich bleibe hier“.

Die Forensik-Jungs rennen vorbei. V. trägt einen anderen auf seinen Schultern. Er ruft mir zu: „Heute kann ich nicht, kein Ausgang! Morgen wieder!“ Ein baumstarke Betreuer schreitet gemessenen Schrittes hinter ihnen her. Ist es ein Funkgerät, das er am Gürtel trägt?

T. kommt auf mich zu und umarmt mich: „Hoi Schätzli - das isch min Schatz!“

Die Sonne kommt, und der Platz füllt sich. Manche sitzen weit weg von uns, manche sprechen mit uns. Einer sitzt drei Stunden lang in sich versunken vor einem Busch. Tumasch baut den zweiten Flügel der Grille. Sie ist nun fertig. Die nächsten Tage werden wir mit Reparaturarbeiten und der Festvorbereitung verbringen. Am Freitag wird hier ein Fest stattfinden. Wer wird kommen? Alten Bekannte, Unbekannte? Es wird (und das ist jetzt als Werbung gemeint:) Gemüse, Fleisch, Kartoffeln für den Grill geben. Es wird eine Zeichnerin geben, die die Festteilnehmer protraitiert. Es wird etwas Musik und eine kleine Ansprache geben. Es wird etwas Werbung für das Wildwuchs-Festival geben, es wird zu trinken geben, viel Smalltalk, und vielleicht tanzt sogar unsere Grille. Freitag, 17. Mai, 14.-16 Uhr. Herzlich Willkommen!






Montag, 13. Mai 2013

FREEZE

Wie Andreas Liebmann und Tumasch Clalüna etwas schwindlig wird

Blue Monday. Es ist grau, kühl, ungemütlich auf dem Centralplatz der UPK. Kaum Patienten, kaum Personal. Viele bekannte Gesichter fehlen. Ich vermisse die fröhliche Paranoia von T, die, wenn man sie beim Namen ruft, sagt: „T. gibts nicht, T. ist erschossen worden.“ Ich vermisse den vermeintlichen Schwerverbrecher V. mit seiner Kampfgeheimwissenschaft. So gerne würde ich hinter die Kulissen schauen, wissen, was sich hier wirklich abspielt. Ist das, was wir hier sehen, bloss die Micky-Maus-Version der wahren Vorgänge? Ist es hier, bei unserer Grille und bei den Würsten, einfach nett, freundlich, gefahrlos, während noch ganz andere Prozesse hier stattfinden, die in Einzelzimmern und Gruppentherapien mit Hilfe eines abgebrühten Bewachungsapparates unter Kontrolle gehalten werden? Was würde passieren, wenn die Medikamentenabgabe gestoppt würde? Was, wenn einzelne bei Spaziergängen nicht begleitet würden? Ich höre in der UPK keine Schreie und nichts extremes. Sitzen, schlendern, stehen, schauen. In Stühlen hängen. Musik hören. Still miteinander reden. Nur manchmal, bei gewissen Geschichten, Blicken, Bewegungen, tut sich ein kleiner Spalt auf, der etwas erahnen lässt. 

F,. ein Betreuer, mit dem ich immer wieder rede, ist die Ruhe in Person. Unbestechlich. Immer, wenn ich Ideen vorbringe, was man am Grillfest machen könnte (singen, reden, tanzen, Geschichten erzählen, zeichnen...) , und ob er nicht vielleicht einige Patienten dazu bewegen könnte, etwas zu machen, beharrt er auf der Eigenverantwortung der Patienten. „Wenn sie wollen, ja, wenn sie nicht wollen, nein“. Mich beeidruckt das sehr. Die Patienten werden komplett ernst genommen. Auch in ihrer Gefährlichkeit bzw. Unabhängigkeit. Sie sind nicht hier, um zu etwas anderem gemacht zu werden, als sie sind. Aber es kann ihnen geholfen werden, hier oder da. Ich besuche F. in seinem Therapieraum. Da steht die Skulptur eines Insassen. Ein Mensch sitzt auf einem Turm. F. erzählt mir die Geschichte dazu: Eine buddhistische Geschichte von einem Verbrecher, der sein Karma reinigen will. Er geht zu einem grossen Weisen, und sagt: „Bitte reinige mein Karma.“ „Ja, so hophopp geht das nicht, zuerst musst Du....“. Es folgen unzählige Aufgaben, wie: Turm aufbauen, danach den Turm zerlegen und alle Bestandteile des Turms dahin bringen, wo sie herkommen. Wege zurücklegen, Gebilde errichten und niederreissen. Am Ende darf der Verbrecher auf dem x.ten von ihm gebauten Turm sitzen bleiben. Den Schluss der Geschichte erzählt mir F. nicht, oder zumindest kriege ich ihn nicht mit. Ich bin abgelenkt von X, der mich im Internet gefunden hat. Er möchte ein Stück von mir lesen. „Und wenn ich raus bin, dann zeigst Du mir, wie das geht, wie man einen Verlag findet, wie man schreibt.“

Mein Blick für psychische Gesundheit oder nicht ist doch nicht wirklich besser geworden. Ein Mann, der sich als Dozent in Erwachsenenbildung vorstellt, weiss, wie man grillt. Er kommt ursprünglich aus Dänemark, dem Land mit der grössten Schweinezucht Europas. Er kennt jede Grillfinesse. „Wenn bei uns gegrillt wird, wird nicht einfach eine Wurst auf den Rost gelegt. Es gibt einen Ablauf, ein Ritual. Das ist ein Ereignis. Hier hat man kein Gefühl dafür. Wurst grillen und essen dauert hier 8 Minuten. Ich habe das mal messen lassen. Bei uns, da ist das eine richtige Feier. Ich bringe Dir Bilder und Zeichnungen mit, dann zeige ich dir das. “ Oh, würde dieser Spezialist einen Vortrag auf dem Grillfest halten! Wir würden gebannt zuhören. Wir würden ihm einen roten Teppich auslegen. Aber er hat keine Zeit. Vielleicht am 31. Mai, in der Kaserne. Als er weg ist, frage ich Tumasch: War er jetzt gesund oder nicht? Tumasch zuckt mit den Schultern. Keine Ahnung.

Ich frage den Gärtner, ob er Lust hat, am Grillfest Witze zu erzählen? Vielleicht, ja.  P. war einmal Musiker, zumindest war er in allen amerikanischen Musikzentren. Detroit, Motown! Hat er Lust, am Grillfest Musik zu machen? Synthesizer vielleicht. Er singt ein paar alte Hits in mein Mikrophon. „My Bonnie“, „Get back“. O. taucht auf. Er spielt Cello. Wir könnten ein Duett machen. „Häsch Note?“, sagt er. Ich: „Wir könnten improvisieren“. „Oh nein“. Er isst eine Wurst. „Was, die kostet nichts?.“ Dann kommt  B., die in der Verwaltung arbeitet und alles koordiniert. Sie meldet, der Wetterbericht für Freitag sei schlecht. Ob da überhaupt jemand grillieren will? Ausserdem sei Pfingsten. Viele verreisen. Konnte man mir das nicht früher sagen? Pfingsten vergesse ich immer. Als ich noch bei den Pfadfindern war, gabs das Pfingstlager. Das war ein Fixpunkt.

Unsere Grille bekommt ihren ersten Flügel. Von vorne sieht sie etwas aggressiv aus. Sie muss repariert werden: Viele Knoten wurden übers Wochenende locker. Oft wird uns gesagt „In China werden ganze Gerüste so gebaut.“ Ja, wir sind Anfänger.

Freitag, 10. Mai 2013

ZIRKUS

Wie Tumasch Clalüna und Andreas Liebmann vor lauter Wurstverteilung fast ihre Grille vergessen

Langsam werden wir Teil des Ganzen. Kann ich noch unterscheiden zwischen denen  und uns? Ich bin mittendrin, befreunde mich schon fast, und doch rücken die Patienten weiter weg. Ich lerne sie besser kennen und verwechsle sie nicht mehr mit den Pflegern / dem Aufpasserpersonal / dem Gärtner / der Sekretärin / dem Pförtner. Sie, die, wir. Wobei: Auf der sicheren Seite ist keiner. In der Patientenkantine Kranich kaufe ich für einen Franken eine Banane. Das Raumdesign: Funktionale Innenarchitektur der 70er, gelblich wie Zigarettenfinger. Der Kellner hat einen unsicheren Strand, weicht meinem Blick aus, ich gebe Trinkgeld. Sein „Danke“ versickert in seinen kraftlosen Lippen. Selbstgespräche plätschern, Hände zittern, Augen gucken tief in ein Spiegelei. „Was siehst Du im Eigelb?“. „DICH“. Aha. Dann gehe ich Kaffee kaufen in der Personalkantine. Der Bau ist riesig. Die Köche und Kellner verlieren sich in der durchgestylten Weite. Eine einzige Gruppe - Studenten? - sitzt an einem rechteckigen blauen Tisch. Ansonsten: Nur Einzelne, vielleicht sechs oder sieben Angestellte (Gesunde) im Nirvana des Hochglanzbaus - höchstwahrscheinlich preisgekrönte Architektur. Alles sehr still. Ich bezahle meinen Kaffee mit der Karte und eile stracks zu unserer Grille.

T. ist gut drauf und umarmt mich, als wir uns sehen. Dann singt sie mir ein Lied vor:

Alle meine Entchen
Schwimmen auf dem See.
Kommt ein falscher Bulle,
Schüttet Gift in Tee.

Alle meine Entchen
Gehen nach Davos.
Werden sie gefressen.
Vom Tiger im Kinderzoo.

Schwimme im Bodensee.
Habe keinen Schlüssel mehr.
Rettet mich ein schöner Mann.
Nimmt mich in den Arm.
Klaut mir das Geld.
Wo ist das Geld geblieben
In der Nummer sieben.

T. verbringt heute die ganzen vier Stunden bei uns, macht Spässe, und will fotographiert werden. Heute hat sich definitiv rumgesprochen, dass es bei uns etwas zu essen gibt. Pflichtbewusst haben wir auch frühzeitig den Grill angemacht, und Würste draufgelegt. Als die ersten kommen, sind die Würste schwarz. „Kannst Du das abkratzen?“ V. erscheint mit seinen Kumpels. Sie wollen alle etwas essen. V. will uns helfen. Er hat Status bei uns  und das zeigt er seinen Kollegen. Er benimmt sich seriös: Während die andern unsere Trinkbecher für Wasserschlachten entfremden, hält er Stangen beim Grillenbau, oder serviert Gästen Würste, Senf und Brot. Eine Weile lang ist es wie auf dem Rummelplatz. Kleine, Grosse, Dicke, Dünne, Bunte, Laute, Leise. Das Bedürfnis, zu essen, ist elementar und stärker als jede geistige Eintrübung. Bei der Wurst wird jeder normal und sagt was er will. „Händer kei Ketchup?“ „Pepita.“ „Nei, kei Cholesüri“. P. isst still und fröhlich zwei Bratwürste hintereinander. G. spaziert mit seiner ergatterten Wurst um den Brunnen. B. kommt alle halbe Stunden, um sicher zu sein, dass wir um halb zwei seine Wurst bereit haben. Als er kommt, wurde sie grade von jemand anderem geschnappt, und wir legen für ihn eine neue auf. Als sie gebraten ist, muss er leider wieder auf sein Zimmer. Extra telefoniert er mit seinem Betreuer, um sich zehn Minuten Wurstzeit herauszuschinden. Es klappt. D. (von dem ich noch nichts erzählt hatte, obwohl wir ihn schon drei Tage kennen - ein unauffälliger, netter Mann, der hier ist, weil er „zuviel geredet“ hat) verpasst leider die Würste. „Schade“, sagt er, und geht wieder.

Die Jungs um V. werden begleitet von einem Betreuer und einer Betreuerin. Er ist neu hier und muss den Betrieb kennenlernen. Die Betreuerin wirkt abgebrüht und doch sehr warm. In ihrem Mantel und der Sonnebrille wirkt sie wie James Bond. Wir nennen sie „Sherlock Holmes“, weil sie von Forensik erzählt, und davon, dass die Jungs, die sich hier lustig mit Wasser vollspritzen, ziemlich austicken können. „Die sind nicht umsonst hier“.

Heute bauen wir das Grillengerüst soweit, dass man das Insekt gut erkennen kann. Eine weile lang kämpfen wir mit den doch nicht allzu biegsamen Bambusrohren, aber am Ende  wird es ganz passabel. V. meint zwar, es sähe aus wie ein Schlitten von Santa Claus, aber wir lassen uns unseren Bastelerfolg nicht verderben. Wer hätte gedacht, dass unsere Grille auch so aussehen wird? Wir sind guter Dinge für den weiteren Bau. Die Grille scheint hier akzeptiert, und so hoffen wir, bleibt sie unbeschädigt übers Wochenende.

Wie wird wohl unser Grillfest? Langsam zeigen sich Ingredienzien: Würste, Wasser, Grille, Rennen, Pepita, singen, Gedichte.




Donnerstag, 9. Mai 2013

DER HIMMEL

Wie Andreas Liebmann und Tumasch Cladüna am Tier weiterbauen und freundlich empfangen werden.

Viele freuen sich, dass wir da sind. Sie haben gehört, dass es bei uns etwas zu essen gibt und fragen nach „Klöpfern“. Heute leider werfen wir unseren Grill nicht an, weil wir uns auf eine andere Arbeit konzentrieren: Grille bauen. Unser Ziel: Das Grundgerüst für eine Grille erstellen, die dann je länger je mehr ausgebaut werden kann. Grundbaustoffe: Bambus, Schnur. Dimensionen: Ca. 4 Meter Länge. Wer mitbauen oder -knöpfen will, ist herzlich willkommen. V. der mir gestern sein Know-How über Kampfsport näher gebracht hat, ist da. Er bietet sofort seine Hilfe an. „Im Knoten bin ich der Meister. Ich bin Überlebenskünstler.“ Sein Knoten hält trotzdem nicht (auch viele unserer Knoten halten erstmal nicht. Bambus ordentlich zusammenzuknüpfen will gelernt sein). Bauen ist schön. Ausserdem ist heute Feiertag, und das Programm in der Klinik ist auf das Minimum reduziert. Vereinzelt gehen Betreuer mit ihren Anvertrauten spazieren. Eine Gruppe Jugendlicher freut sich über unsere Grille und sie tragen sie herum. Zwei geben ein Beatbox-Konzert, und wir Trommeln. Sind das die ersten Beiträge für das Grillfest? Wir werden sehen. Die Betreuerin scheint nicht abgeneigt. Was unterscheidet diese Jungs von den Jugendcliquen, die am frühen Abend auf dem Kasernenplatz herumlungern? Wie kann ich mir ihre Krankheit vorstellen? Sind sie Sonderschüler, ADHS-Patienten, Jugendstraftäter? Ich kann mit ihnen sprechen, mit ihnen Spass haben, Trommeln, oder sie anfeuern, wenn sie die Grille herumtragen. Warum sie hier sind, ist schwer abzuschätzen. V. spielt ein bisschen auf seiner Gitarre: Smoke on the water, und eine Akkordfolge, die er selber komponiert hat. Tumasch spielt auch ein bisschen auf dem Instrument, ein paar Lagerfeuergriffe. „Du bist ein Meister“, sagt V.

Uns geht die mitteldicke Schnur aus. Jetzt haben wir nur noch die sehr dicke Hanfschnur, und eine sehr dünne. Was nehmen? In meiner Primarschule habe ich gelernt, Schnüre zu drehen. Also mache ich das. J, der das sieht, ist begeistert. „Das habe ich auch unterrichtet“. Er hilft mir ein bisschen. Ab und zu erstarrt er und reckt seinen Arm zum Himmel. Dann legt er seinen Kopf auf den Tisch. Zwei Minuten regt er sich nicht „Meine Diagnose: Manisch-Depressiv. Ich habe einfach zu viel erlebt. Die hat mich betrogen“. Immer wieder lacht er, unvermittelt. Manchmal steht er da, kumpelhaft, entspannt, völlig unauffällig. „Der Himmel ist so gross, was will man da alles reintun!“

Wir sprechen mit P. Er ist die graue Eminenz in der Klinik. Alter Mann. „Ich bin viel herumgereist. Tennessee. Nicht Illinois. Aber Florida. Maine. New Orleans. Texas. St. Patrick. Nicht Mexiko. Aber Cleveland. Thanks for the coffee“. Er ist sehr freundlich. Leicht gebückt. Ab und zu spricht er englisch mit uns, und wir mit ihm. Danach wieder Baslerdeutsch. Tumasch sagt: „Du kennst hier jeden“. Er sagt: „Ich vergesse die Gesichter“.

T. kommt und meldet die neuesten Diebstähle. P. sucht sofort das Weite. Er kann sie nicht riechen und hält sie sicher für komplett abgedreht.

Der Tag ist ruhig. Unsere Grille scheinen sie zu mögen. Morgen gibts Klöpfer.