Mittwoch, 8. Mai 2013

DAS PANOPTIKUM

Blogeintrag. 7. Mai 2013

DAS PANOPTIKUM

wie andreas liebmann und tumasch clalüna die kliniken und ihre bewohner kennenlernen


Grillenfest Vorbereitung. Erster Tag in der UPK (Universitäre Psychiatrische Kliniken).

Das Personal der UPK ist hilfsbereit. Nicht nur, dass sie uns (Tumasch und mich) mit einem Zelt, Strom, einer Art Essenskreditkarte, Wasser und Palmen im Topf versorgen. Sie stellen auch über ihre Küche Grill-Speisen bereit: Kartoffeln, Maiskolben. Auch Alufolie, Karton. Techniker bringen den Brunnen in Betrieb. Direkt vor unserem Grillen-Zelt, plätschert es nun seit 13 Uhr. Der Centralplatz der UPK ist grosszügig und angenehm. Mehrere Häuser für einzelne Abteilungen. Offen, geschlossen. Ein kleiner runder Platz aus Asphalt. Der Brunnen. Stühle. Sonnenschirme.

Hier steht jetzt unser Grillen-Mobil.

Nach fünf Minuten Anwesenheit werde ich bezichtigt, ein Auto gestohlen und eine Handgranate in einer Handtasche versteckt zu haben. Ausserdem werde ich aufgeklärt über diverse Polizeieinheiten und Verbrechen. Überalll sind Kameras. Und die Vögel, die da kreisen, fliegen bestimmt auch nicht einfach so zum Vergnügen herum. Unsere neue Bekannte T. wird uns die nächsten Stunden regelmässig aufsuchen. Es scheint für sie nicht wichtig zu sein, ob wir ihre Geschichten aufmerksam verfolgen oder ignorieren, ob wir sie glaubwürdig finden oder nicht. Sie wird die Geschichten los, und dann die nächsten, und dann die nächsten. Eine unaufhörliche Quelle von Kriminalfragmenten, die sich durch sie ihren Weg bahnen und jedem erzählt werden, der verfügbar ist. Wenn keiner da ist, wird in die Luft geredet.

X. hat bereits 1200 Gedichte geschrieben. In keinem einzigen werden die Worte der anderen wiederholt. Auch Worte wie „und“, „für“ werden nicht wiederholt. Worte, die sich ähneln, gelten als die Gleichen (Wie zum Beispiel „Wurst“ und „Wurstwaren“). Er gibt mir seine Email-Adresse und möchte mir ein Gedicht schenken. Welches? Ich sage, „Eines über Grillen“. Das gibt es nicht. „Und die Tier-Gedichte sind etwas heikel. Die bekommt nicht jeder.“ Er numeriert die Gedichte, und gibt sie manchmal in handschriftlich nummerierter Serie heraus. Wenn einer seine Gedichte als die Eigenen ausgäbe, hat er immer einen Gegenbeweis in der Hand und kann nachweisen, welche Seriennummern schon an wen verteilt wurden. Manche sind ganz wild nach seinen Gedichten, zum Beispiel seine Therapeutin.

Ein Mann begrüsst mich. Ich frage mich, was er wohl hat und bin sicher, er ist Patient. Vielleicht Depressionen? Er sieht schwerfällig und aufgeschwemmt aus. „Ich bin H, Pfleger.“ Aha. Er will wissen, was wir machen wollen. „Ein Grillen-Fest? Spannend. Gib ein paar Flyer. Ich nehm´s mal in die Gruppe.“

Ein Lied wird mir vorgesungen: „Let the sun shine over Basel.“ Ich frage den Sänger: Schreibst Du mir ein Grillen-Lied?

Zwei Patienten reden miteinander. Sie streiten ein bisschen. Er weist sie zurecht. Sie sagt: „Schon gut“. Ich denke, sie glaubt, weniger verrückt zu sein als er, und spielt deswegen die Nachsichtige. Hierarchien des Krankseins.

Die UPK ist eine Zone, in der potentiell jeder wahnsinnig ist. Wenn ich in der Cafeteria einen Kaffee bestelle, merke ich, dass die Leute nicht wissen, wie sie mich einordnen sollen. Welche Krankheit wird mir wohl zugeschrieben? Am einfachsten zu erkennen sind die Leute mit Namensschild, Abteilung, Funktion. Aber die wenigsten tragen eines. Manche Angestellten, wenn sie sich nicht vorstellen, schätze ich als Patienten ein. Einer von ihnen zeigt mir seine Metallwerkstatt. Er arbeitet also hier. Ich denke trotzdem: er war mal Patient. Schon nach kurzem Aufenhalt hier verschwimmen die Grenzen, und ich merke, ich kann mich nur bedingt auf meine Wahrnehmung verlassen.

Eine normale junge, charmante Studentin, mit Kurzhaarschnitt und I-Pad kommt auf mich zu. Im Ohr ein Kopfhörer. Sie sagt: „Ich bin Z. Ich bin manisch-depressiv. Mit mir darfst Du nichts verabreden, es bringt nichts. Ich kann mich sowieso an nichts halten.“

AL 07.05.2013


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